Die Tür für die Ewigkeit

Sabine Scholz

Dunkles Holz in einem Rundbogen. Die Tür wirkt ebenso unscheinbar wie die schmucklose alte Kirche, in die sie führt. Doch dieses kleine Tor entführt jeden, der es öffnet und in den von den Jahrhunderten zernagten Innenraum eintritt, in eine andere Dimension. Die kreuzförmige romanische Kirche des Burchardiklosters Halberstadt hat die Wirren von gut 900 Jahren überlebt und ist heute Heimat eines ungewöhnlichen Kunstprojekts. 

Das John-Cage-Orgel-Kunstprojekt ist ein Wechsel auf die Zukunft, ein Experiment, das für mich Ausdruck der unbändigen Hoffnung von uns Menschen ist. Hier wird ein Musikstück aufgeführt, dessen Ende auf das Jahr 2639 datiert ist. Ein Musikstück, dessen Spielanweisung „so langsam wie möglich“ auf die Spitze getrieben wird. John Cages „Organ2/As slow as possible“ ließ die Fans Neuer Musik darüber ins Gespräch kommen, wie langsam denn so langsam wie möglich sein kann, bei einem Instrument, dessen Klang allein davon abhängt, wie lange man Wind in die Pfeifen führt. Als ich Mitte der 1990er Jahre das erste Mal von den Plänen erfuhr, dachte ich nur: „Haben die keine anderen Sorgen?“. 

Die Arbeitslosigkeit in der Region lag bei weit über 20 Prozent, Halberstadt hatte noch immer sein Stadtzentrum nicht zurück, das ihm der Zweite Weltkrieg genommen hatte. Alles war im Umbruch. Aber eigentlich war es genau der richtige Zeitpunkt für solche Überlegungen. Wenn alles neu sortiert wird, kann auch ganz Neues entstehen und ausprobiert werden. Es trafen sich Enthusiasten, die die intellektuelle Debatte in ein handfestes Projekt wandelten. Und in Halberstadt den idealen Ort dafür vorfanden.  Jeder Orgelbauer der Welt kennt Halberstadt, wurde hier doch eine Orgel gebaut und später beschrieben, die die Grundlage heutiger Klaviaturen und Orgeln darstellt, die 1361 von Nicolaus Faber erbaute Domorgel. Dieses Datum wurde als Ausgangspunkt auserkoren und am Jahr 2000 in die Zukunft gespiegelt. 

Nun soll es also in über Jahre und Jahrzehnte gestreckten Akkorden klingen, das Werk des  US-amerikanischen Avantgardekünstlers John Cage. Der liebte den Zufall, den Zen-Buddhismus, das Erkunden neuer Klangwelten. Und all das bündelt sich, tritt man durch die schlichte Holzpforte der Burchardiklosterkirche. Es ist ein spiritueller Raum, einst erbaut zur Lobpreisung des christlichen Gottes, gezeichnet von Kriegen, Verlust des Glaubens, Nutzung als Schweinestall und Lager. Und über all dem hat dieser Raum nie seine Wirkung auf den Menschen verloren. Nun ist er erfüllt von einem Klang, der sich nur alle Jahre mal ändert. 

Ob er bleibt, der Klang, bis 2639? Ich weiß es nicht. Aber die Idee, dass so ein Projekt überlebt, allen Krisen und Kriegen, allem Geld- und Personalmangel zum Trotz, ein Projekt, das allen sich wandelnden Moden und Philosophien widersteht, weil es uns mit den Fragen von Zeit, (Un)Endlichkeit, Entschleunigung und dem, was uns ausmacht, konfrontiert, ist spannend. Zumal man nicht nur im Inneren der alten turmlosen Kirche darüber sinnieren kann. Es gibt viel Grün um die Kirche, die Bemühungen, einen Klostergarten zu reaktivieren, so, wie auch das gesamte Klosterareal neu belebt wird durch Menschen, die sich in diesen besonderen Ort verliebt haben, die Kunst, Ausbildung, Musik und vieles mehr bündeln im Herzen einer Anlage, die 1186 gegründet wurde. 

Ich besuche gern dieses einstige Kloster, bummele über den nach und nach wieder in Ordnung gebrachten Hof, besuche die Projekte und Veranstaltungen, die Menschen, die dem Ort Gesicht und Leben geben. Komme zur Ruhe, schöpfe Kraft hier. Und natürlich gehört da auch ein Abstecher in der Ewigkeit dazu. 

Zur Person:
Dipl.-Journ.
Jahrgang 1966
Rotarier seit 2014

Am Kloster 1

38820 Halberstadt

John Cage Project

Burchardi-Kloster

ZURÜCK